Vor mittlerweile dreieinhalb Jahren hat Russland die Ukraine völkerrechtswidrig überfallen. Dem Angriffskrieg des russischen autoritär regierenden Präsidenten Putin sind laut UN bis Ende Juli 2025 mindestens 13 883 Zivilist*innen zum Opfer gefallen. Es wurden 35 548 Zivilist*innen verwundet, darunter auch viele Kinder. Das UN-Hochkommissariat für Menschenrechte (OHCHR) geht davon aus, dass die tatsächliche Anzahl an Verletzten und Toten in der ukrainischen Zivilbevölkerung wesentlich höher ist. Inzwischen sind 3,8 Millionen Ukrainer*innen innerhalb des Landes auf der Flucht. Rund 12,7 Millionen Menschen in der Ukraine sind laut UN-Flüchtlingshilfe auf humanitäre Hilfe angewiesen. Rund 5,6 Millionen Menschen haben Zuflucht vor dem Krieg im Ausland gesucht. Die meisten davon im europäischen Ausland.
Wir verurteilen den russischen Angriffskrieg, die imperialistischen Territoriumsausweitungsfantasien des Kremls und russlandverherrlichende Positionen. Als Teil des transnationalen Rhythms of Resistance (RoR) Netzwerkes positionieren wir uns klar gegen die von der russischen Armee ausgehende (Waffen-)gewalt, Kriegsverbrechen und die Unterdrückung der ukrainischen Zivilbevölkerung. Russland muss die strukturelle Terrorisierung der Ukrainer*innen durch Angriffe auf die zivile Infrastruktur sofort beenden und die Truppen aus den besetzten Gebieten abziehen.
Als RoR Kiel sind wir uns einig, dass es die Pflicht von Demokratien ist, die Ukraine und die dort lebenden Menschen zu unterstützen. Es gibt viele Handlungsoptionen, die von Regierungen und Entscheidungsträger*innen nicht ausgereizt werden. Unter anderem beinhaltet dies konsequenteres Vorgehen gegen die russische Schattenflotte. Diese exportiert täglich russisches Öl unter ausländischer Flagge, umgeht die EU Sanktionen und stockt somit die Kriegskasse der russischen Regierung weiter auf. Lukrativ für den Kreml ist auch weiterhin der Gasexport in die EU. Dieser machte im Jahr 2024 noch 19% der EU-Energieimporte aus und stieg wieder im Vergleich zu 2022 und 2023.
Ebenfalls könnte das Verhängen von erweiterteten Sanktionen gegen das direkte Umfeld von Putin und seinen Oligarchen Druck ausüben, um die russische Regierung an den Verhandlungstisch zu bringen. Nicht zu vernachlässigen ist auch das Aufrechterhalten von humanitärer Hilfe und Aufbauhilfe für die ukrainische zivile Infrastruktur. Auch Waffenlieferungen, die das ukrainische Militär braucht um die Zivilbevölkerung vor den täglichen Raketen- und Drohnenangriffen durch die russische Armee zu schützen und sich weiterhin verteidigen zu können, sollten nicht ausgeschlossen werden.
Die demokratische Selbstbestimmung der ukrainischen Bevölkerung muss gewahrt und gefördert werden. Dafür bedarf es auch der konsequenten Bekämpfung von Korruption innerhalb des ukrainischen Staates, der laut der NGO Transparency International zu den korruptesten Staaten Europas zählt. Der Versuch Selenskyjs Ende Juli 2025 mit einem im Eilverfahren durchgepeitschten Gesetz die Unabhängigkeit der Antikorruptionsbehörden einzuschränken, zeugt davon, dass die Entwicklungen in der Ukraine kritisch begleitet werden sollten. Auch angestrebte permanente Verbote von regionalen linken Parteien seien laut dem ukrainischen Soziologen Volodymyr Ishchenko vom Osteuropa-Institut der FU Berlin ein Zeichen für ein “gewisses Demokratiedefizit”. Ebenfalls sehen wir es kritisch, dass Zwangsmobilisierungen, sowohl auf ukrainischer, als auch auf russischer Seite Menschen zum Kriegsdienst verpflichtet, die diesen nicht verüben möchten.
Wir streben an, auch stärker Positionen der ukrainischen und osteuropäischen Linken wahrzunehmen und uns mit dem antiimperialistischen Wissen Osteuropas auseinanderzusetzen.
Zeitgleich sind wir offen für einen kritischen und differenzierten Austausch zwischen den verschiedenen linken Gruppen in Kiel. Unser Ziel ist es dabei auch Widersprüche zwischen unterschiedlichen Positionen auszuhalten.
Wir stellen klar: Ein Friedensabkommen zwischen Russland und der Ukraine darf kein Diktatfrieden sein. Trumps Deal, die Bodenschätze der Ukraine zu “plündern” als Ausgleich für geleistete finanzielle und militärische Unterstützung sehen wir als höchstproblematisch und gleicht einer Schutzgelderpressung. Nicht nur würden damit weitreichende Umweltzerstörung der Ukraine einhergehen, sondern der Deal treibt den Kolonialisierungsprozess der Ukraine weiter an. Wir sind uns einig, dass die ökonomischen Mechanismen, die Staaten zu Kriegen motivieren außer Kraft gesetzt werden müssen, um den Krieg nachhaltig beenden zu können.
Der Krieg in der Ukraine stärkt und nutzt den Rechtsextremen, sowohl in Deutschland als auch in der Ukraine, Russland und anderswo. Akteure des rechten Spektrums nutzen die globalen Spannungen als Instrument, um Ängste in der Wähler*innenschaft zu schüren und um ihre Narrative wie “die Nation stärken”, “gegen innere Feinde vorgehen” und “starke (toxische) Männer werden die chaotische Welt wieder zu alter Ordnung bringen” zu platzieren und weiter zu etablieren. Leider sind diese Bemühungen, wie zuletzt auch das Erstarken der AfD bei den Bundestagswahlen in Deutschland gezeigt hat, immer wieder von Erfolg gekrönt.
Im Kontext dieser Spannungen und Unsicherheiten in der Bevölkerung, ist es umso wichtiger, dass der Angriffskrieg gegen die Ukraine klar von Gruppierungen, die sich politisch links verorten, verurteilt wird, die Ukraine unterstützt wird, und dass progressive Positionen Gehör finden und kritische Argumente liefern, die den Diskurs nachhaltig beeinflussen.
Als Folge des Angriffskriegs kommen auch wir nicht darum herum, anders über Verteidigungsfragen nachzudenken. Linke Stimmen aus Ukraine, Russland sowie Nordeuropa betonen, wahrscheinlich zurecht, dass ein Sieg Putins Imperialisten weltweit dazu ermutigen werde, das Recht des Stärkeren in internationalen Beziehungen zu forcieren. Autoritarismus, ob in Russland, USA oder Europa schadet immer der Selbstbestimmung der Menschen. Glaubhaftes und konsequentes Vorgehen von demokratisch regierten Ländern gegen Putin darf sich deshalb nicht auf Erhöhung der Militärausgaben und weitere militärische Unterstützung auf Kosten von sozialen Investitionen beschränken. Denn wir dürfen nicht ausblenden, dass das zwar im Westen abgelehnte russische Kriegsregime, das es versteht seine Gesellschaft und Wirtschaft auf die Notwendigkeiten des Krieges anzupassen, verurteilt wird, wir jedoch zeitgleich eine Militarisierung der Politik, Medien und Wirtschaft in Deutschland erleben. Ein Symptom dessen ist der auf 86 Milliarden Euro gestiegene Verteidigungshaushalt für das Jahr 2025, und der Plan der Bundesregierung diesen bis 2029 auf 162 Milliarden Euro pro Jahr anzuheben. Was Verfechter dieser Entwicklung “die Bereitschaft Deutschlands sicherheitspolitische Führungsverantwortung im europäischen Kontext zu übernehmen” nennen, markiert den Anspruch Deutschlands seine hegemoniale, ökonomische Machtbasis innerhalb Europas zu festigen. Eine Konsequenz dessen ist eine Verschiebung der Prioritäten zulasten von Bildung, Gesundheit, Klimaschutz und sozialer Gerechtigkeit, die eine notwendige soziale und ökologische Transformation zunichtemacht (Stichwort: Renaissance der fossilen Energien). Es gilt also Alternativen zur Aufrüstungsspirale und immer mehr Ausgaben für die Kriegsmaschinerie, wie sie von immer mehr Politiker*innen und der NATO gefordert und umgesetzt werden, aufzuzeigen, um Sicherheit und Frieden in Europa und weltweit umzusetzen. Statt Sicherheit überwiegend militärisch zu interpretieren, sollten friedenspolitische Ansätze, wie z.B. Vermittlung, Abrüstung und Stärkung internationaler Institutionen, sowie Sicherheit im umfassenden Sinn, also stabiles Klima, gesunde Ernährung, soziale Teilhabe und intakte Ökosysteme nicht an relativer Bedeutsamkeit verlieren.
Dazu gehört auch, dass die Ukraine nicht in die völlige Abhängigkeit ausländischer Kreditgeber*innen geraten darf. Der Fokus sollte darauf liegen, die ukrainische Zivilgesellschaft, die Gewerkschaften und antikapitalistische, antifaschistische, antisexistische Bewegungen, die sich für die gerechte Verteilung von Ressourcen, Arbeitnehmer*innenrechte, Umweltschutz und gegen Korruption einsetzen zu unterstützen und mit ihnen zusammenzuarbeiten. Denn eine demokratische nationale Selbstbestimmung kann nur mit einer sozialen Emanzipation einhergehen, damit diese gerecht sein kann.
Im Kieler Kontext heißt das deshalb auch, dass lokale ukrainische Initiativen gehört und unterstützt werden sollten, obgleich es inhaltliche Differenzen gibt. Ein demokratischer Diskurs lebt von guten Argumenten, Anerkennung der Realität, geht von Werten der Gleichheit und Gegenseitigkeit, der Gleichwürdigkeit der Menschen und dem Interesse an der freien Entfaltung aller aus – und übt sich in Solidarität mit Unterdrückten.
Wir sagen: Stoppt den Krieg! Russische Truppen raus aus der Ukraine! Solidarität mit der Ukraine!
Quellen:
- https://www.nd-aktuell.de/artikel/1189234.bilanz-zum-krieg-verheerende-zustaende.html
- https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1297855/umfrage/anzahl-der-zivilen-opfer-durch-ukraine-krieg/
- https://www.uno-fluechtlingshilfe.de/hilfe-weltweit/ukraine
- https://www.akweb.de/politik/ukraine-krieg-verhandlungen-welches-ende-ist-akzeptabel-mehr-widersprueche-als-linke-erzaehlungen-zulassen/
- https://www.akweb.de/politik/linke-positionen-zu-ukraine-krieg-europaeischer-sicherheit-aufruestung-und-neuer-weltordnung/
- https://www.nd-aktuell.de/artikel/1189246.usa-und-russland-trump-putin-deal-wie-ukrainische-linke-darauf-blicken.html
- https://www.bpb.de/themen/europa/ukraine-analysen/nr-281/519135/analyse-8-maerz-feminismus-und-krieg-in-der-ukraine-neue-herausforderungen-neue-moeglichkeiten/
- https://www.zdf.de/nachrichten/politik/ausland/arbeitsmarkt-ukrainer-fluechtlinge-job-frauen-deutschland-krieg-russland-100.html
- https://taz.de/Gastbeitrag-zu-Putins-Kulturzerstoerung/!6072103/
- https://www.deutschlandfunk.de/ukraine-korruption-selenskyi-100.html
- https://www.fr.de/politik/russland-erleidet-im-ukraine-krieg-hohe-verluste-aktuelle-zahlen-zr-93843937.html
- https://www.fr.de/politik/kritik-an-selenkyjs-verbot-unliebsamer-parteien-91457194.html
- https://www.akweb.de/ausgaben/717/krieg-militarisierung-kriegsregime-ukraine-gaza-raul-sanchez-cedillo/